LAS Art Foundation

Im Gespräch: Sharon Eyal & Claude Adjil

Über die Tanzreihe This Is Not A Love Show im Kraftwerk Berlin

06 Jan. 2022

Anlässlich der von LAS gezeigten Tanzreihe Sharon Eyal & Gai Behar: This Is Not A Love Show im Kraftwerk Berlin spricht die Kuratorin Claude Adjil mit der Choreografin Sharon Eyal über die Auswahl ihrer Tänzer:innen, die Bedeutung von Musik sowie darüber, wie sich verschiedene Räume auf ihre Stücke auswirken.

Claude Adjil: Vielen Dank, dass du dieses Gespräch mit mir führst, Sharon. Lass uns damit anfangen, wie dein Weg als Tänzerin begann.

Sharon Eyal: Meine Verbindung zum Tanz bestand schon, bevor ich überhaupt anfing, mich zu bewegen. Vielleicht sogar, bevor ich anfing zu atmen. Für mich war sie immer schon da und ich wusste: ich muss tanzen. Ich war ein aufgedrehtes Kind, dem es schwerfiel, sich zu beruhigen. Das hat sich durch das Tanzen verändert. Ich fühlte mich gelassener, präsenter.

Claude Adjil: Du hast zunächst eine klassische Ballettausbildung durchlaufen. Dann bist du durch deinen Beitritt in die Batsheva Dance Company der Gaga-Methode* begegnet. Über die Jahre hinweg hast du deinen ganz eigenen Stil entwickelt. Wie beeinflussen die unterschiedlichen Techniken deine Arbeit?

Sharon Eyal: So unterschiedlich kommen sie mir gar nicht vor. Letztendlich ging es für mich immer darum, zwischen all den verschiedenen Richtungen meine eigene Stimme zu finden. Am Ballett liebe ich das System, die Technik und die Ordnung. Gaga hingegen hat eine sehr persönliche Bedeutung für mich. Es half mir, mich selbst zu finden. Ich nehme aus allem etwas mit. Ich liebe es, ein System zu erkunden und dann die Freiheiten aufzutun, die darin stecken. Ich will das Körperliche, das Extreme spüren, das manchmal beinahe an physisches Leiden grenzt. Emotionen kommen so besonders unverstellt und persönlich zum Ausdruck. Die verschiedenen Techniken sind großartige Werkzeug, die uns vor allem dabei unterstützen sollen, das eigene Fühlen zu erschließen.

Claude Adjil: 2013 hast du gemeinsam mit Gai Behar die L-E-V Dance Company ins Leben gerufen, gleichzeitig kollaboriert ihr häufig mit externen Tanzkompanien. Für das Projekt im Kraftwerk arbeitest du wieder mit tanzmainz zusammen. Wie verändert sich deine Rolle als Choreografin, wenn du diesen unterschiedlichen Ensembles begegnest, und inwieweit unterscheidet sie sich von deiner Arbeit mit L-E-V Dance Company?

Sharon Eyal: Für mich steht die Verbindung zu den Menschen im Vordergrund – egal, ob ich mit anderen Kompanien arbeite oder mit L-E-V. Ehrliche Inspiration und Gefühl erfahre ich immer im jeweiligen Moment. Der Unterschied ist, dass die Menschen verschieden sind, und die Tatsache, dass ich mit L-E-V sehr viel Zeit verbringe. Mit diesen Tänzer:innen kann ich dementsprechend die Verbindung vertiefen. Letztendlich ist es aber doch irgendwie gleich: Ich kreiere für Menschen. Ich mag es, mit Menschen zu arbeiten. Ich mag es, jedem Einzelnen etwas Extremes zu entlocken, und ich liebe es, die richtigen Leute für mich auszumachen und sie auf eine neue emotionale Ebene zu heben. Ganz ehrlich, ich kann gar nicht anders.

Claude Adjil: Es scheint, als wolltest du für immer sowohl mit L-E-V Dance Company als auch mit anderen Kompanien arbeiten. Dein Wunsch, Unbekanntes zu ergründen, deine Offenheit für Kollaborationen und deine Freude an neuen Kontakten sind unbegrenzt. Immer wieder bewegst du dich außerhalb der Sphäre der klassischen Tanzwelt, bist angetrieben dazuzulernen und Grenzen zu verschieben. Das bewundere ich sehr.

Sharon Eyal: Mir wird tatsächlich schnell langweilig, daher bin ich immer auf der Suche nach neuen Eindrücken. Das muss gar nichts Großes sein – oft reicht es schon, einen anderen Weg einzuschlagen oder etwas Neues auszuprobieren. Ich glaube, dass Energie in unserem Kopf entsteht. Weckt etwas meine Aufmerksamkeit, dann ist die richtige Energie am Werk. Wenn ich etwas langweilig finde, kann ich mich damit nicht weiter beschäftigen.

Claude Adjil: Auch das hat eine bestimmte Energie. Für die L-E-V Dance Company arbeitest du mit außergewöhnlichen Tänzer:innen zusammen. Wie findet ihr euch und wonach suchst du in ihnen? Es scheint nicht so, als würdest du eine spezielle Form vorgeben. Deine Werke sind von extremer Körperlichkeit geprägt und auf der rein physischen Ebene sind deine Tänzer:innen sehr unterschiedlich.

Sharon Eyal: Auch hier geht es vor allem um Verbindung. Sie wählen mich ebenso wie ich sie wähle. Mit den meisten arbeite ich schon lange zusammen. Wir teilen eine gemeinsame Vergangenheit, wir teilen die Gegenwart und die Zukunft. Irgendwas war immer schon da. Auf körperlicher Ebene lege ich großen Wert auf herausragende Technik. Damit meine ich nicht nur Ballett, sondern vor allem die Fähigkeit, mit Emotionen umzugehen und sie in Bewegung zu übersetzen. Ich suche die technisch Besten und gleichzeitig unverstellte Menschen die bereit sind, sich auf die Arbeit und auf sich selbst einzulassen. Das zu finden, ist ziemlich schwer.

„Was ich sehen möchte, ist die Magie, nicht die Choreografie. Ich will fühlen. Und dass andere Menschen fühlen, was ich ihnen geben möchte.“

Sharon Eyal

Claude Adjil: Mit deiner Arbeit eröffnest du Tänzer:innen eine neue emotionale Ebene. Ich kann mir vorstellen, dass die Rückkehr zum Alltag für sie nicht leicht ist.

Sharon Eyal: Ja. Ich bitte sie, sich innerlich vor mir zu entblößen. Ich möchte sehen, wer sie sind. Sie sehen und sonst nichts. Das ist sehr hart. Ich erwarte von ihnen, dass sie unverstellt und zugleich so geübt sind wie nur irgendwie möglich.

Claude Adjil: Trotz Kostüm und Bühnen-Make-Up kommt die Einzigartigkeit deiner Tänzer:innen zum Ausdruck. Es scheint, als wolltest Du mit der Idee des geschlossenen Ensembles brechen und zeigen, wer die auftretenden Individuen sind.

Sharon Eyal: Die eigentliche Choreografie ist letztlich nicht so spannend. Interessant ist das, wozu die Tänzer:innen sie werden lassen. Was ich sehen möchte, ist die Magie, nicht die Choreografie. Ich will fühlen. Und dass andere Menschen fühlen, was ich ihnen geben möchte.

Claude Adjil: In deiner Arbeit geht es oft um intensive Gefühle und immer wieder um die Liebe. Was ist dir daran so wichtig?

Sharon Eyal: Meine Arbeit zeigt meine eigene Geschichte und meinen Prozess. Ich denke auch nicht, dass es dabei um Liebe geht – sondern um Beziehungen, um das Leben. Für mich ist das ein und dasselbe. Ich glaube, dass man das Leben mit dem Leben verändern kann.

Claude Adjil: Du hast recht, es geht ums Leben. Um Freude und auch Schmerz. In all deinen Stücken steckt Freude, aber eben das gesamte Spektrum dieses Gefühls. Mal spürbar in den beinahe animalischen Verdrehungen der Körper, dann wieder durch den Ausdruck purer, bewegender Schönheit.

Sharon Eyal: Genau. Wir beschreiben weder Freude, noch Trauer oder Schmerz isoliert – sondern vielmehr das Zusammenspiel von Emotionen. All diese Elemente sind präsent und die Wildheit, mit der sie ausgedrückt werden, erweckt manchmal den Eindruck von Traurigkeit. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, zu entdecken, was unsere Körper, unsere Herzen und unseren Geist in der Tiefe bewegt. Und das ist niemals nur eine Sache, sondern ein eng verwobenes Netz vielschichtiger Gefühle.

Claude Adjil: Absolut. Eine weitere bedeutende Rolle für deine Arbeit als Choreografin spielt Musik. Du hast bereits mit zahlreichen unterschiedlichen Musiker:innen zusammengearbeitet, etwa mit Koreless oder Jamie xx. Für das Projekt im Kraftwerk Berlin wirst Du ebenfalls eng mit Musiker:innen kollaborieren. Inwiefern dient dir die Musik als Inspiration? Wie nutzt du sie, um noch mehr Tiefe zu erzeugen?

Sharon Eyal: Ich liebe Musik. Nicht als Choreografin, sondern als Mensch. Sie kann meine Stimmung verändern und alles andere auch. Musik bedeutet mir sehr viel. Wir arbeiten schon seit Langem mit Ori Lichtik zusammen, zu dem wir eine großartige Verbindung haben und mit dem wir gemeinsam vieles entwickeln. Die Arbeit mit Koreless war sehr interessant und inspirierend, die Kollaboration mit mit Jamie xx wieder eine völlig neue Erfahrung. Ich mag es, mich mit unterschiedlichen Materialien zu beschäftigen und mich dabei selbst zu entdecken. Das funktioniert wunderbar durch Musik. Was meine Stücke betrifft: es ist nicht so, dass die Musik wichtiger ist als beispielsweise das Kostüm oder umgekehrt – alles ist gleichermaßen bedeutend. Alles ist bedeutend, weil das Stück bedeutend ist. Auch Musik ist Leben. Sie bewegt etwas in mir.

Claude Adjil: Es ist genau wie du sagst; Musik ist Leben, eine Lebensart. Sie ermöglicht uns so viele unterschiedliche Gefühlszustände, überwindet Grenzen und kann durch Referenzen Kontexte verschieben. Du zeigst deine Arbeit in verschiedenen Zusammenhängen. Ich habe deine Stücke schon an traditionellen Schauplätzen, z.B. im Theater, gesehen, aber auch schon an unkonventionellen Orten.

Sharon Eyal: Der Ort ist wieder eine dieser Ebenen, eine Möglichkeit, etwas Anderes zu spüren und zu erleben. Ein Ortswechsel kann zu einem neuen Element des Stückes werden. Es ist unglaublich, welchen Einfluss Raum auf ein Werk haben kann. Die Wahrnehmung kann eine völlig neue sein, wenn das Stück statt im Theater an einem anderen Ort oder gar in der Natur gezeigt wird. Und das ist wunderschön.

„Ich glaube, dass dieser intensive, lebendige Bezug zum Augenblick sehr wichtig für meine Stücke ist. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde ich den Moment zuerst herausschreien und dann in Form bringen.“

Sharon Eyal

Claude Adjil: Wie fühlt es sich an, an solche Orte zurückzukehren?

Sharon Eyal: Ich liebe es. Als Kind habe ich immer eine TV-Serie geschaut, in der zwei Mädchen und ein Junge mit einem Stab auf eine Landkarte deuteten. Wo auch immer der Stab auf der Karte landete, dort landeten auch die Kinder – stets in einer neuen Welt. So fühle ich mich manchmal. Ich möchte magische Orte erkunden und sie zum Leben erwecken. Ich habe keinen Zauberstab, aber ich habe meinen Körper und meine Gefühle.

Claude Adjil: Wunderschön. Wie gehst du vor, wenn du Stücke an neue Umgebungen anpasst? Ich weiß, wie wichtig es dir ist ist, dass Stücke in Bewegung bleiben und nichts jemals final ist, dass du jederzeit zurückkehren und es neu ansetzten kannst. Als wir 2019 in London zusammengearbeitet haben war ich besonders bewegt davon, wie lebendig alles ist, wie du die Tänzer:innen anfeuerst, zu sprudeln.

Sharon Eyal: Ja, das mag ich tatsächlich am liebsten: vor Ort sein, den Ort fühlen und dieses Gefühl an die Tänzer:innen weitergeben. Ich arbeite mehr und mehr auf diese Weise. Ich habe ein Mikrofon und spreche mit den Tänzer:innen. Ich glaube, dass dieser intensive, lebendige Bezug zum Augenblick sehr wichtig für meine Stücke ist. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde ich den Moment zuerst herausschreien und dann in Form bringen. Ich mag es, Stücke zu verändern. Nicht, weil mir etwas daran nicht gefällt, sondern weil ich neue Ideen habe und daran glaube, dass auch das Stück stets wachsen kann.

Claude Adjil: Alles im Leben wächst und verändert sich. Ein Garten erblüht, verblüht und regeneriert sich unaufhörlich. Ihn vom Wachsen abzuhalten ist unmöglich.

Sharon Eyal: Genau. Warum also sollten wir die Stücke nicht auch gießen und weiter nähren? Ich liebe es, es ist so erfrischend. Wie neu, jedesmal.

Claude Adjil: Du reist häufig. Oft für sehr kurze Zeiträume. Für das Projekt in Berlin wirst du dich nun zeitweise niederlassen – hier in der Stadt und auch in den Räumlichkeiten des Kraftwerk Berlin. Ich könnte mir vorstellen, dass auf diese Weise eine ganz andere Version eines „Zuhause“ entsteht – ihr zieht ja alle ein, gewissermaßen.

Sharon Eyal: In jedem Fall ist es eine Gelegenheit, tiefer zu gehen und mich zu erden. Das ist großartig. Ich freue mich sehr darauf. Danke!

* Gaga ist eine von dem israelischen Tänzer und Choreografen Ohad Naharin entwickelte Bewegungssprache und Trainingsmethode. Sie wurde entwickelt, um das Bewusstsein für körperliche Empfindungen zu vertiefen und professionelle Tänzer:innen darin zu unterstützen, ihre Anstrengung mit Freude zu verbinden.