LAS Art Foundation

Im Gespräch: Libby Heaney & Kay Watson

über Quantencomputing und ihr neues Kunstwerk Ent-

18 Feb. 2022

Kay Watson, Leiterin der Abteilung für Kunsttechnologien der Serpentine Gallery, spricht mit der Künstlerin Libby Heaney über Quantencomputing, ihre neue Arbeit Ent- und ihre gemeinsame Überzeugung, dass Kunst und Kultur bei der Entwicklung von Spitzentechnologien eine Rolle spielen können.

Kay Watson: Ich möchte zunächst über das Quantencomputing sprechen, das in unserem Verständnis der Realität fast magisch erscheint. Du hast diesen Ausdruck ebenfalls verwendet. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen gibt es hier? Wo stehen wir mit der Entwicklung dieser Technologie?

Libby Heaney: Es ist faszinierend. Beachtenswert ist, dass wir nicht nur diese merkwürdige Version der Realität haben, sondern dass Wissenschaftler:innen auch gelernt haben, wie man damit Computer baut. Man kann aus diesem komplexen Durcheinander tatsächlich etwas äußerst Praktisches herausholen, das denjenigen mit den entsprechenden Ressourcen für seine Anwendung eine greifbare Macht verschafft.

Quantencomputing ist die Grundlage für das, was als Nächstes kommt. Mit dem Hype um Web3 sind enorme Investitionen verbunden – wir werden allerdings irgendwann von Web3 zu Web Q (Web Quantum) übergehen. Das Problem ist, dass der Großteil der Macht und des Wettbewerbs bei den großen Technologieunternehmen wie Google und IBM liegt. Es gibt nicht einmal eine gute Definition dafür, was ein Quantencomputer mittlerer Größe (Noisy Intermediate-Scale Quantum Computer (NISQ))2 ist, denn er kann auf unterschiedliche Weise hergestellt werden: Google und IBM verwenden supraleitende Quantenbits (Qubits). Andere Unternehmen, wie Ion Q, verwenden gefangene Ionen. Wieder andere Unternehmen, wie PSI Quantum, nutzen optische Verfahren. Und es gibt noch mehr. Ich bezeichne die Entwicklungen hin zu einem vollwertigen Quantencomputer immer als Quantenwettrüsten.

„Diese Technologie könnte als Waffe eingesetzt werden, da ein Quantencomputer im Prinzip in der Lage ist, alle von uns verwendeten RSA3-Verschlüsselungen zu knacken. Das ist eine gewaltige Sache.“

– Libby Heaney

Wenn Regierungen mit Technologieunternehmen und Universitäten zusammenarbeiten, kommt die Geopolitik ins Spiel. Der Westen will nicht, dass China den ersten Quantencomputer hat und andersherum ist es genauso. Diese Technologie könnte als Waffe eingesetzt werden, da ein Quantencomputer im Prinzip in der Lage ist, alle von uns verwendeten RSA3-Verschlüsselungen zu knacken. Das ist eine gewaltige Sache. Ein vollwertiger Quantencomputer könnte etwa die Integrität des auf Blockchain basierenden Web3 zerstören4. Das ist in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen. Das liegt zum Teil daran, dass das Quantencomputing – und die Physik dahinter – für Laien derzeit noch sehr schwer zu verstehen ist. Die allgemeine Presse berichtet kaum darüber, und wenn, dann klingt es wie Werbung für IBM oder andere Technologieunternehmen. Ich finde, dass kritische Gespräche außerhalb der Quantenwelt sehr wichtig sind. Sonst haben nur die Wissenschaftler:innen und Investor:innen das letzte Wort, nicht aber die breite Öffentlichkeit.

Quantencomputer sind im Moment noch sehr verrauscht. Das heißt, sie sind fehleranfällig. Wenn ich mit einem Quantencomputer arbeite, dann arbeite ich im Grunde mit dem Quantum-Assembly-Code, also immer noch mit Nullen und Einsen. Jedes Mal, wenn Nullen und Einsen verarbeitet werden, treten Fehler auf, die sich auf das Ergebnis auswirken. Und Wissenschaftler:innen wollen keine Fehler. Insbesondere dann nicht, wenn es nicht nur um Kunst geht, sondern um die Lösung von Problemen.

Was die eigentliche Definition des Quantencomputing und speziell die des universellen Quantencomputers5 anbelangt, gibt es seit über 20 Jahren eine Definition, aber die Branche arbeitet mit Nachdruck an einer Standardisierung. Das ist rein theoretisch und bietet eine Liste von Dingen, die zur Lösung eines beliebigen Problems auf einem Quantencomputer erforderlich sind: Qubits müssen einzeln lesbar und adressierbar sein. Ebenso muss man einen universellen Satz von Logikgattern6 verwenden können. Da die Unternehmen, die Quantencomputer bauen, sich in einer wesentlich früheren Phase befinden als das universelle Quantencomputing, verfügen die Wissenschaftler:innen noch nicht über die in Zukunft so wichtige Fehlerkorrektur. Jeder Computer verfügt über eine Art von Fehlerkorrektur für den Fall, dass ein Bit versehentlich falsch gesetzt wird. Bei Quantencomputern ist dies besonders wichtig, da Quantensysteme stark vom Rauschen betroffen sind. Aktuelle Quantencomputer werden von den Wissenschaftler:innen als „verrauschte Quantencomputer mittlerer Größe“ bezeichnet. Die Technologieunternehmen befinden sich hier noch in der Anfangsphase. Darum können sie die aktuelle Hardware, die sie bauen, nicht genau definieren. Angenommen, wir nehmen einen Quantencomputer von Google und dann einen von Honeywell. Da sie verschiedene Architekturen der physischen Hardware aufweisen, können einige ein sehr geringes Rauschen haben, aber nur wenige Qubits, und andere können viele Qubits haben, sind aber dafür sehr verrauscht. Welcher ist besser? Es ist schwer, sich auf ein Maß zu einigen. IBM hat intern sein eigenes Maß. Es heißt Quantenvolumen, aber es wird von keinem anderen Unternehmen verwendet. Vielleicht, weil sie damit schlecht abschneiden und lieber ein Maß auswählen, das zu ihrem System passt. Es gibt also keine Standardisierung. Es ist bekannt, was ein universeller Quantencomputer ist, aber eben nur theoretisch. Es gibt derzeit noch kein Benchmarking in diesem Bereich, daher kann nicht entschieden werden, wer den besten Quantencomputer hat. Wenn man die Entwicklung dieser Technologieunternehmen aufmerksam verfolgt, kann man feststellen, dass sie alle ihre eigene Strategie verfolgen, um sich als Standard durchzusetzen. Und man sieht, wie ihre Geschäftsmodelle funktionieren. Einige verfolgen einen offeneren Ansatz, andere sind eher verschlossen und gehen vielleicht Partnerschaften ein. Wieder andere sind eher kollaborativ und plattformbasiert und bringen Software- und Hardwareplattformen zusammen. IBM hat versucht, selbst ein ganzes Stack zu erstellen. Daneben gibt es noch eine Menge Start-ups.

„Die Vorstellung, dass es jenseits der greifbaren Welt, die wir jeden Tag sehen, noch eine plurale Realität gibt, hat mich total begeistert.“

– Libby Heaney

Kay Watson: Da es so schwer zu verstehen ist, erfolgt die öffentliche Interaktion mit einem Quantencomputer immer über eine Schnittstelle. In Wirklichkeit sieht man nicht, wie das funktioniert. Es ist interessant, dass die Wissenschaftler:innen mit der Entwicklung der Hardware gleichzeitig auch diese Schnittstellen konzipieren.

Libby Heaney: Ich frage mich, ob es auch einen anderen Weg geben kann. Die Wissenschaftler:innen haben von der Entwicklung der aktuellen digitalen Technologie bis hin zum maschinellen Lernen gelernt, was für den Full-Stack7 benötigt wird: Entwicklerkits, Kits für Leute, die eine Technologie nur für Anwendungen nutzen wollen, und dann die Assembly-Ebene und die Hardware. Wenn die Hardware ausgefeilter ist, steht das gesamte Paket zur Verfügung.

Kay Watson: Welche Beziehung hast du als Künstlerin dazu? Du hast auf dem Gebiet der Quanteninformation einen PhD gemacht und warst als Post-Doktorandin tätig, bevor du eine Ausbildung zur Künstlerin absolviert hast. Warum hast du diesen Wechsel vollzogen und welchen Einfluss haben deine Erfahrungen mit Bildung, Wissen und der Formulierung eines Verständnisses der Welt auf deine künstlerische Praxis?

Libby Heaney: Kunst war mein Lieblingsfach in der Schule. Es brachte so viel Freude, Flucht aus dem Alltag und Gelassenheit in mein Leben. Ich wäre gerne auf eine Kunstschule gegangen, aber ich war auch sehr gut in Physik und Mathematik. Ich komme aus einer Arbeiter:innenfamilie und meine Lehrer:innen, Freund: innen und Familie rieten mir davon ab, Kunst zu studieren, weil man damit kein Geld verdienen könne. Deshalb ging ich zur Universität und studierte Physik, Mathematik und Deutsch. Ich habe mich in Quanten verliebt, weil das Thema wirklich bizarr war. Zunächst empfand ich es als sehr schwierig, aber die Konzepte waren wirklich magisch und seltsam. Die Vorstellung, dass es jenseits der greifbaren Welt, die wir jeden Tag sehen, noch eine plurale Realität gibt, hat mich total begeistert. Ich habe immer noch Kunst gemacht, aber es war immer eine Frage von Zeit und Ressourcen. Deshalb habe ich in Singapur meine Forschungsarbeit nach der Promotion gemacht und konnte eine Menge Geld sparen, um mir ein Kunststudium leisten zu können.

Vor Kurzem habe ich das Buch Das Seltsame und das Gespenstische (2016) von Mark Fisher gelesen. Darin steht, dass das Seltsame etwas ist, was nicht dazugehört. In Bezug auf die Newton'sche Welt, die wir erleben, würde das auf die Quantenphysik zutreffen, aber sie ist auch ein Teil von uns. Es ist also nicht so, dass das „Andere“ von uns getrennt ist.

Wenn man sich mit Physik beschäftigt, muss man zunächst das Fachgebiet beherrschen und dann eine gute Idee für die eigene Forschung entwickeln. Für eine Veröffentlichung muss das Thema neu und innovativ sein. Das ist ähnlich wie in der Kunst, denn was man für interessant hält, stammt oft aus der eigenen Erfahrung. Aber wenn man sich mit Physik und Mathematik beschäftigt, muss man logischen Schritten folgen. Das Ergebnis ist manchmal interessant, manchmal nicht. Und dann muss man die Berechnungen noch einmal durchgehen, um auf Nummer sicher zu gehen. Das kann ziemlich esoterisch sein.

Mein Fachgebiet ist die Verschränkung (entanglement), was an sich ein großes Feld ist. Ein bestimmter Aspekt dieses Feldes ist mir gut vertraut. Manchmal ist es frustrierend, weil es so speziell ist und man sich nicht mit vielen Leuten über das unterhalten kann, was man tut. Ich hatte den Wunsch, ausführlichere Gespräche führen zu können. Als ich das erste Mal mit dem Thema Quanten in Berührung kam, konnte ich nicht glauben, dass unsere mikroskopische Realität so ist, wie sie beschrieben wird. Aber als ich mich mit der Wissenschaft beschäftigte, ging die Magie ein wenig verloren – es wurde sehr rigoros und etwas trocken. Ich wusste nicht, wie Quantenphysik und Kunst zusammengebracht werden können. Ich wusste einfach, dass ich es von einem breiteren Standpunkt aus ausdrücken und andere Gespräche einbringen musste, um mich zu entfalten und diese Magie wiederzuerlangen.

„Mir gefiel die Idee, das Wort nicht abzuschließen und es dem Publikum zu überlassen, das Ganze offen zu halten.“

– Libby Heaney

Kay Watson: Ich habe mich im Laufe der Jahre mit Künstler:innen unterhalten, die aus der Forschung oder dem akademischen Bereich stammen. Dann gibt es noch viele Wissenschaftler:innen, die sich auch als Künstler:innen verstehen. Es gibt dieses Bedürfnis nach Gesprächen, die verschiedene Stimmen einbeziehen – das scheint im Rahmen der Kunst besser möglich zu sein.

Libby Heaney: Es geht hier um Hierarchien. Wissenschaftler:innen, oder zumindest Physiker:innen, glauben, dass wissenschaftliche Erkenntnisweisen das „wahre“ Wissen darstellen. Wissen, das sich mehr auf unsere subjektive Erfahrung oder unser verkörpertes Wissen bezieht, hat für sie weniger Gültigkeit. Ich wusste nicht, wie ich dies ausdrücken sollte, als ich mich mit Wissenschaft beschäftigt habe, aber ich habe es immer gespürt. Ich habe in stark von Männern dominierten Bereichen gearbeitet und war in meinen Zwanzigern ziemlich schüchtern. Daher war es manchmal schwierig, meiner Stimme Gehör zu verschaffen. Mit all diesen Fragen beschäftige ich mich nun in meiner Arbeit. Mein Werk beinhaltet stets einen impliziten Feminismus, der aus meiner Erfahrung und meinen vergangenen Frustrationen herrührt.

Kay Watson: Kannst du uns ein wenig über dein neuestes Werk Ent- erzählen? Was wird das Publikum erleben?

Libby Heaney: Das Werk wurde von LAS in Berlin in Auftrag gegeben und wird an die arebyte Gallery in London übergeben. Aus diesem Grund habe ich mir Gedanken über Verbindungen zwischen der deutschen und der englischen Sprache gemacht. Ich habe mich daran erinnert, dass es im Deutschen die Vorsilbe ent- gibt, die den Beginn einer Handlung oder einer Trennung bedeutet. Sie kommt in den deutschen Wörtern wie entstehen oder entdecken vor. Für mich bezieht sich das darauf, wo wir mit dem Quantencomputing und seiner möglichen Zukunft stehen. Aber auch im Englischen gibt es Wörter wie entanglement (Verschränkung), enter (Eingabe) auf der Tastatur oder enter (eintreten) in einen immersiven Raum. Mir gefiel die Idee, das Wort nicht abzuschließen und es dem Publikum zu überlassen, das Ganze offen zu halten, was meiner Meinung nach bei der Arbeit mit Quantenkonzepten ziemlich wichtig ist. Soviel zum Titel.

Kay Watson: Wie hängt Ent- mit deinem Verständnis von „Quantendenken“ zusammen?

Libby Heaney: Die Arbeit basiert auf zweieinhalb Jahren Forschung mit Quantencomputing. Ich habe mit IBM-Systemen programmiert und untersucht, wie ich Daten aus der Verschränkung innerhalb der Quantencomputer für die Bearbeitung von digitalen Bildern, ihren Pixeln und 3D-Strukturen nutzen kann. Die wichtigste Frage dabei war, wie man visuelle Effekte erzeugen kann, die mit digitalen Technologien nicht möglich sind. Welche Ästhetik kann man aus Quantenmathematik und Quantendaten erzeugen? Ich habe erkannt, dass man mit Interferenzeffekten die wellenartige Natur von Quantenphänomenen aufdecken kann. Ich habe zahlreiche Experimente durchgeführt; Animationen, Videos und einige 3D-Simulationen erstellt. Alle diese Elemente sind nun in eine 360-Grad-Projektion in ein größeres Umfeld eingebettet, in das die Zuschauenden eintreten und darin einen Übergang zwischen dem, was wir heute haben, und einer Quantenwelt erleben können. Es ist meine Interpretation einer solchen Welt, allerdings mit einem äußerst kritischen Ansatz und ohne Quanten zu romantisieren.

Kay Watson: Du verwendest Daten aus der Verschränkung. Was sind das für Daten?

Libby Heaney: Ich nehme einen Haufen Qubits in einem Quantencomputer. Mithilfe von Quantenlogik-Gattern können diese Qubits verschränkt und so ein Objekt in einem Quantencomputer erzeugt werden. Es gibt viele verschiedene Arten von Verschränkungen, wahrscheinlich unendlich viele. Dieses verschränkte Objekt befindet sich in einem hochdimensionalen Raum und kann auf verschiedene Arten gemessen werden. Stell dir vor, du bist in einer Galerie und betrachtest eine Skulptur eines menschlichen Körpers. Abhängig davon, wo du im Verhältnis zu dieser Skulptur stehst, siehst du einen anderen Blickwinkel. Du siehst verschiedene Körperteile mit unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Erst wenn du um das Ganze herumgehst – vielleicht, wenn du es von oben betrachten kannst –, erhältst du einen Eindruck von ihrer Gesamtheit. Bei der Verschränkung existiert die Skulptur nicht in 3D, sondern je nach Anzahl der verwendeten Qubits in einem viel höherdimensionalen Raum.

Aber du kannst dich noch immer um sie herum bewegen. Wir können das verschränkte Objekt aus verschiedenen Perspektiven „sehen“. Ich erschaffe viele identische Kopien dieses verschränkten Zustandes und messe jede Kopie ein wenig anders. Ich beginne, eine Karte dieser Verschränkung zu erstellen. Die ausgegebenen Daten sind nur eine Liste von Zahlen. Das sieht vielleicht nicht besonders interessant aus. Dann nehme ich einen Python-Code8 und versuche zu verstehen, wie ich diese Liste von Zahlen durchgehen und sie verwenden kann, um Bilder und digitale Daten von Pixeln herumzuschieben. Es gibt nur ein paar Zeilen mit Quantencodierung – der Rest ist ein Python-Skript, mit dem ich etwas visuell Interessantes mit den Quantendaten machen kann.9

„Diese Blackbox besitzt etwas, das mit uns Menschen zu tun hat – sie ist sehr theatralisch.“

– Libby Heaney

Kay Watson: Erleben wir eine Art Erzählung, wenn wir diesen Ausstellungsraum betreten? Ist sie festgelegt oder verändert sie sich in Echtzeit?

Libby Heaney: Sie läuft in einer Schleife. Wenn das Publikum die Ausstellung betritt, wird es zu Beginn mit einer Interpretation der zentralen Tafel Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch auf einem Bildschirm konfrontiert, die dann den gesamten Raum und dich in diese Spielwelt einhüllt – eine mit der Unreal Engine erstellte virtuelle Umgebung. Während die Besucher:innen sich durch diesen Raum bewegen, beginnen sich die Formen zu dekonstruieren und werden immer quantenhafter: Du begegnest meinen Quantenanimationen, alles beginnt sich zu verformen und zu verzerren.

Es gibt drei Szenen: Die erste ist eine eher figurative architektonische Landschaft als Einführung, um sie direkt mit Bosch zu verbinden. Dann gibt es eine Himmelsszene und anschließend eine Wasser- und Unterwasserszene. Ich verwende in allen Szenen Elemente, um auf unterschiedliche Weise über Quanten zu sprechen. Es gibt also eine Struktur – ich weiß nicht, ob ich es als Erzählung bezeichnen würde, aber man wird durch diese Reihe von Welten geführt.

Kay Watson: Den Mittelpunkt dieses Werks bilden mehrere (Quanten-)Neuinterpretationen vom Garten der Lüste von Bosch, einem imposanten Triptychon, das das Paradies (oder den Himmel) und die Hölle darstellt. Es wurde zu einer Zeit geschaffen, in der sich unser Verständnis von unserem Platz und unserer Rolle im Universum durch Kopernikus und andere Wissenschaftler stark veränderte. Warum war es wichtig, sich darauf zu konzentrieren?

Libby Heaney: Ich möchte die Dinge lieber offen halten, als ihre Bedeutung festzulegen. Es gibt mehrere Ebenen, warum ich mich auf Bosch beziehe – einige sind ganz einfach und andere ziehen Parallelen zwischen dem Gemälde und dem Quantencomputing im Detail. Auf der elementarsten Ebene befindet sich die Zukunft des Quantencomputers zwischen Himmel und Hölle und wirft damit die Frage auf, in welche Richtung die Entwicklung dieser Technologie verlaufen wird.

In meiner bisherigen Arbeit habe ich Popkultur oft als Ausgangspunkt genommen, um auf komplexere Ideen zu sprechen zu kommen. Da das Quantencomputing äußerst komplex ist, lässt es sich am besten mit einem wirklich bekannten Thema einführen. Ich betrachte das als eine Art Türgriff. „Oh, da ist ein Türgriff, gehen wir mal rein!“ – etwas, an dem man sich inmitten dieser ganz neuen Ideen festhalten kann.

Ich habe beim Lesen über Boschs Triptychon so viele Parallelen zu den Ideen der Quantenphysik, dem Quantencomputing, Bosch und der Religion allgemein gefunden. Das veranlasste mich, über Technologie als eine neue Religion nachzudenken. Sie verspricht uns ein Leben jenseits des Körpers, sie sieht alles, ist undurchsichtig und irgendwie dogmatisch. Bei heutigen maschinellen Lernsystemen, auf denen zahlreiche Entscheidungsfindungssysteme beruhen, neigen die Menschen dazu, sich auf die Vorhersagen der Maschinen zu verlassen, ohne darüber nachzudenken, was sie wirklich glauben oder ob die Maschinen wirklich präzise sind. Eine Anwendung des Quantencomputings ist das maschinelle Lernen mit Quanten, das bei großen Technologieunternehmen besonders beliebt ist. Ich wollte das Quantencomputing und das maschinelle Lernen mit Quanten als eine Erweiterung von dem betrachten, was bereits geschieht, und es mit dem aktuellen Diskurs in Beziehung setzen, der z. B. von der Autorin und Mathematikerin Cathy O'Neil und der Schriftstellerin Jeanette Winterson geprägt wird. Beide haben über Technologie und Religion im Zusammenhang mit dem maschinellen Lernen geschrieben.

Das Gemälde von Bosch kann auch in Bezug auf das Begehren auf zweierlei Weise interpretiert werden: Stellt es das reine, ungehemmte Begehren als unschuldigen Ausdruck der Menschheit dar oder ist es gleichzeitig auch eine Verurteilung dieses Begehrens? Je nachdem, welche:r Autor:in über Bosch schreibt, bekommen wir unterschiedliche Meinungen. Ich stelle eine ähnliche Frage zum Quantencomputing und unserem Verlangen nach neuen Technologien und immersiven Erfahrungen – sollen wir es verurteilen oder feiern? Ist es eine gute Sache, dass Wissenschaftler:innen dazu neigen, nur das Neue zu feiern? Ich spreche hier in Binärformen, aber ich hoffe, dass das Werk diese Binärformen dekonstruiert und komplexere Beziehungen aufdeckt.

Vielleicht müssen wir sogar die Hybridität dieser Fragen akzeptieren. Dies spiegelt sich in den hybriden Kreaturen wider, die Ent- bevölkern. Zur Zeit von Bosch ging man davon aus, dass Gott die Welt in einer bestimmten Ordnung erschaffen hatte, mit den Menschen an der Spitze. Monster wurden hier zur Darstellung von sozialen Missständen oder etwas Sündhaftem verwendet. Ich habe meine Kreaturen mit dem Zufallsprinzip eines Quantencomputers erschaffen. Wenn man die verschränkten Zustände auf eine bestimmte Weise misst, erhält man eine Reihe von echten Zufallszahlen. Man kann nicht vorhersagen, was herauskommen wird. Der von digitalen Systemen erzeugte Zufall ist immer pseudozufällig und über einen langen Zeitraum hinweg entsteht immer eine Art Muster. Einstein sagte einmal über die Quantenmechanik, dass „Gott nicht würfelt“. Damit lehnte er die Idee eines echten Zufalls in der Quantenphysik ab. Aber er lag falsch – Physik ist auf ihrer grundlegendsten, subatomaren Ebene wirklich zufällig. So gesehen, ist sie wirklich unbestimmt. Ich verbinde den Zufall als grundlegendes Element des Universums mit der Bedeutung des Zufalls zur Zeit von Bosch, um neue Formen jenseits alltäglicher Kategorien und Taxonomien vorzuschlagen.

Kay Watson: Ich interessiere mich sehr für die Blackbox als den Raum, in dem Prozesse verborgen sind – um dein Zitat „ein System, das in Form von Inputs und Outputs betrachtet werden kann, ohne dass man sein Innenleben versteht“ zu verwenden. Du forderst die Menschen dazu auf, diese Blackbox zu betreten, um das Innenleben der Quanten zu sehen. Nicht um didaktisch zu sein, sondern um uns viele Möglichkeiten aufzuzeigen. Kannst du uns mehr über diesen Ansatz erzählen?

Libby Heaney: Es funktioniert auf mehreren Ebenen. Es ist ein Symbol für Quantencomputing und ebenso für unseren Verstand. Ich habe intuitiv mit Quanten gearbeitet, weil ich mich in diesem Bereich auskenne. Als ich in der Wissenschaft tätig war, schuf ich immer diese Bilder vor meinem geistigen Auge, um ein Gefühl für Quanten zu bekommen. Die Bilder waren extrem unpassend und hatten verrückte Farben. Ich weiß nicht, warum sie so aussahen. Andererseits arbeitete ich sehr rational, wenn ich für den Quantencomputer programmierte. Es ist kein Medium wie Ton, bei dem man selbst Hand anlegen kann. Man muss nur etwas Code schreiben. Aber als wir mit James B. Stringer, dem Entwickler meiner Arbeit, und seinem Team alles in der Game Engine zusammenfügten, wurde alles von diesem Gefühl geleitet. Das Kunstwerk wirkte am Ende wirklich traumhaft, verbunden mit meinem Bewusstsein und meinem Unterbewusstsein. Kennst du die minimalistische Skulptur Die von Tony Smith aus dem Jahr 1962? Es ist eine große Metallbox, ungefähr so groß wie ein Mensch. Diese Blackbox besitzt etwas, das mit uns Menschen zu tun hat – sie ist sehr theatralisch. Oder Anish Kapoor, der diese tiefschwarze Farbe verwendet. Da ist so viel los, obwohl es eine Leere darstellen könnte. Und ich habe noch nicht einmal über das Schwarze Quadrat von Malewitsch (1915) nachgedacht.

„Die Idee dahinter ist, das Individuum in einem derart starken Sinne zu überwinden, dass es zerstört wird, wenn man versucht, ein Individuum in diesem verschränkten System auszumachen.“

– Libby Heaney

Kay Watson: Ich habe gehört, wie du die Quantenwelt als „Eintritt in eine andere Welt“ oder als Eröffnung einer neuen Art des Sehens/Wahrnehmens bezeichnet hast? Könnest du uns kurz erklären, was das nicht nur auf technischer Ebene bedeutet, sondern auch im Hinblick auf unsere Systeme, Körper, Hierarchien und die Paradigmen, durch die wir die (makroskopische) Welt wahrnehmen?

Libby Heaney: Bisher habe ich es als fruchtbar empfunden, Quantenkonzepte wie Superposition, Verschränkung und Quantenmessung zu nehmen und sie mit anderen Ideen zu verarbeiten, um zu beobachten, wie diese Kombination etwas Neues hervorbringt. Wenn man über relationale Ästhetik liest oder über die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour nachdenkt, sind Systeme sehr relational. Der Essay von Latour im e-flux journal („Some Experiments in Art and Politics“), in dem er sich mit dem Werk Galaxies Forming along Filaments, Like Droplets along the Strands of a Spider's Web (2008) von Tomás Saraceno befasst, verdeutlicht dies. Die Betrachtung von Quantenkonzepten verstärkt diesen Eindruck noch. Ich bin ein großer Fan von Karen Barad. Ihr Buch Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning (2007) ist die beste Neuinterpretation der makroskopischen Welt durch Quanten, die ich bisher gelesen habe: Alle Materie hat eine Wirkung, die Fähigkeit, sich zu verformen und verschiedene Formen hervorzubringen, je nach ihren Beziehungen zu anderen Dingen in der Welt. Barad schreibt, dassBeziehungen Dingen wesentlich vorausgehen und dass Dinge durch Beziehungen entstehen.

Was mir am meisten imponiert, ist die Tatsache, dass die Quantentheorie eine nicht-lokale Theorie ist. Das bedeutet, dass wir uns in der Newton'schen Physik, in der makroskopischen Welt, gewöhnlich ein Objekt vorstellen, das auf ein anderes Objekt aufprallt und eine Kraft verursacht – es gibt also Ursache und Wirkung. Und das ist sehr linear. In der Quantenwelt können Objekte verschränkt werden. Verschränkung bedeutet grundsätzlich, dass zwei oder mehr Objekte ihre eigenen individuellen Eigenschaften verlieren. Stell dir vor, du hast einen physischen Körper hier und einen physischen Körper dort, aber sämtliche Eigenschaften – Masse, Position, Impuls – sind über beide hinweg verstreut. Sie stehen in Beziehung zueinander und sind auf diese nicht-lokale Weise miteinander verbunden. Die Idee dahinter ist, das Individuum in einem derart starken Sinne zu überwinden, dass es zerstört wird, wenn man versucht, ein Individuum in diesem verschränkten System auszumachen. Man kann eine Person im wahrsten Sinne des Wortes nicht herausholen. Das führt uns über den Großteil der westlichen Philosophie hinaus, was ziemlich spannend ist. Wenn wir auf die Idee der Nicht-Lokalität zurückkommen und uns als Teil dieser verschränkten Systeme betrachten, die mit anderen Dingen verbunden sind, dann haben wir eine nicht-lokale Verantwortung. Ich meine das nicht nur materiell, sondern auch, wie jede Interaktion (z. B. ein Diskurs) innerhalb eines Phänomens eine Wirkung haben kann, auch wenn es nicht direkt berührt wird.

Dies ist momentan nur eine Metapher, um mithilfe der Quantenwissenschaft neue Ideen in der makroskopischen Welt zu durchdenken. Zwar gibt es in der Wissenschaft eine strenge Definition der Verschränkung, aber bisher hat noch niemand die Verschränkung zwischen makroskopischen Körpern wie Menschen entdeckt.

Kay Watson: Ich denke, wir teilen die Überzeugung, dass Kunst und Kultur bei der Entwicklung von Spitzentechnologien eine Rolle spielen können. Warum ist es gerade jetzt so wichtig, sich mit Quantencomputing und seiner Infrastruktur auseinanderzusetzen?

Libby Heaney: Die Macht liegt ganz klar bei den großen Technologieunternehmen und im Vergleich zum Web3 sprechen nicht viele Menschen über Quantencomputing. Wenn Künstler:innen und alle Menschen außerhalb der Quantensphäre anfangen, sich nachhaltig damit zu befassen, dann könnten wir zugänglichere Sprachen dafür entwickeln. Ich habe mich viel über die ethischen und moralischen Auswirkungen dieser Technologie geäußert. Da ich in der Wissenschaft tätig bin und mit vielen Wissenschaftler:innen darüber gesprochen habe, weiß ich, dass dieses Thema nur sehr wenig diskutiert wird. Die kritische Kunstwelt ist gut darin, die Auswirkungen neuer Technologien wie der KI zu durchdenken. Bei der KI denke ich jedoch, dass es ein bisschen zu spät war, um einen wirklichen Wandel herbeizuführen, denn die KI-Systeme sind nun fest in unser Leben integriert. Wenn aber jemand, der sich mit Quantencomputing beschäftigen möchte, laut genug aufschreien würde (wie es bei NFTs der Fall war, wo der Künstler Memo Akten und Joanie Lemercier über CO2- Emissionen und Blockchain schrieben und es von der Zeitschrift Wired und der New York Times aufgegriffen wurde), dann können Künstler:innen Veränderungen in Gang setzen. Künstler:innen haben bei Diskussionen über neue Technologien immer an vorderster Front gestanden. Ich sehe keinen Grund, warum wir jetzt keinen Wandel herbeiführen können. Da Quantencomputer so schwierig zu bauen sind, haben wir noch etwas Zeit.

Glossary

Web3

Web3 is an idea for a new iteration of the World Wide Web based on the blockchain, which incorporates concepts including decentralisation and token-based economics.

Noisy inter-mediate-scale Quantum Computer

The current type of embryonic quantum computer (i.e. one that is not yet fully developed).

RSA

RSA is a public-key cryptosystem that is widely used for secure data transmission. It is also one of the oldest. The acronym ‘RSA’ comes from the surnames of Ron Rivest, Adi Shamir and Leonard Adleman, who publicly described the algorithm in 1977.

Blockchain

A blockchain is a decentralised, distributed and oftentimes public, digital ledger consisting of records called blocks that are used to record transactions.

Universal Quantum Computer

The essence of a universal quantum computer is that it enables the simulation of physics, including and especially quantum mechanics. It is a machine that can run any possible quantum algorithm.

Logic gates

Logic gates are the basic building blocks of any digital system, performing logical operations on the bits. The relationship between the inputs and the outputs is based on a certain logic. Quantum logic gates are an extension of this for qubits, and always have the same number of inputs as outputs.

Full Stack Technology

Full stack technology refers to the entire depth of a computer system application, and full stack developers straddle two separate web development domains: the front end and the back end. The front end includes everything that a client, or site viewer, can see and interact with.

Python

Python is an interpreted high-level general- purpose programming language. Its design philosophy emphasises code readability with its use of significant indentation. Its language constructs as well as its object-oriented approach aim to help programmers write clear, logical code for small and large-scale projects.

Python script

A Python script is a reusable set of code that is essentially a Python programme – a sequence of Python instructions – contained in a file.

Zugehörige Events

01
Installation|10. Feb. 2022 - 01. Mai 2022

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