Ent-
In der immersiven 360-Grad-Installation wird Quantencomputing zum Medium und Gegenstand zugleich.
Für Ent- animiert und modifiziert Libby Heaney ihre eigenen Aquarellmalereien mittels quantenbasierten Programmierens. Sie collagiert fantastische Wesen, gestaltet Landschaften, die zu atmen scheinen und schafft Strukturen die zerbersten, um sich im Anschluss neu zu formieren. Besucher:innen begegnen der 360°- Installation von Ent- in einer „Black Box”.
Quantencomputer werden unsere Welt verändern. LAS zeigt die Ausstellung Ent- der Künstlerin und promovierten Physikerin Libby Heaney (geb. 1983) – und damit eins der ersten Kunstwerke, das diese neue Technologie nicht nur thematisch aufgreift, sondern unter Einsatz von Quantencomputing geschaffen wurde.
Bereits seit mehreren Jahren untersucht Heaney im Auftrag von LAS die Komplexitäten und möglichen Implikationen von Quantencomputing. Sie ist weltweit führend darin, diese Technologie als künstlerisches Medium einzusetzen. In Ent- geht Heaney noch einen Schritt weiter: Quantencomputing wird in der immersiven 360°-Installation zum Medium und Gegenstand zugleich. Die Arbeit erkundet die tiefgreifenden Veränderungen unseres zukünftigen Alltags in dem Moment, in dem Quantencomputer voll funktionsfähig und damit aktuellen Computern in Leistung und Geschwindigkeit weit überlegen sein werden.
Besucher:innen der Installation betreten zunächst eine „Black Box“, in der sie einer 360°- Projektion von Ent- begegnen. Heaneys Kunstwerk ist eine Interpretation der zentralen Tafel des berühmten Triptychons Garten der Lüste von Hieronymus Bosch (c. 1490–1510). In der Videospiel-Engine Unreal erschuf Heaney eine Parallelwelt, die auf den verschiedenen Ebenen des Gemäldes basiert. Statt von Boschs Figuren wird diese von Heaneys hybriden Quantenkreaturen bevölkert. Heaney animiert und modifiziert dafür ihre eigenen Aquarellmalereien mittels quantenbasierten Programmierens. So collagiert sie fantastische Wesen, gestaltet Landschaften, die zu atmen scheinen und schafft Strukturen die zerbersten, um sich im Anschluss neu zu formieren. In der Art und Weise, wie Aquarellfarben auf dem Papier verschwimmen und sich so festen Strukturen widersetzen, spiegelt sich für Heaney das Verhalten kleinster Teilchen in der Quantenphysik wider.
Heaney sieht in Boschs nebeneinander liegenden Darstellungen von Himmel und Hölle eine Analogie zu dem ambivalenten Potenzial des bevorstehenden Quantenzeitalters. Zum einen wird die erhöhte Rechenleistung von Quantencomputern in vielen Bereichen zu bisher undenkbarem Fortschritt führen. Die bedeutet jedoch zum anderen, dass beispielsweise Verschlüsselungsmethoden zum Schutz von Daten und Privatsphäre ausgehebelt und der Ausbau bereits bestehender digitaler Überwachungsmechanismen exponentiell beschleunigt werden könnte. So widmet sich Ent- auch den Gefahren, die unserem Wunsch nach neuen Technologien innewohnen und lässt dabei ebenso wie der Garten der Lüste verschiedene Lesarten zu, in denen dieses Begehren gleichzeitig zelebriert und vor ihm gewarnt wird. Heaney platziert Ent- in einen dezidiert religiösen Kontext und stellt so die Frage in den Raum, inwiefern Technologie die Rolle von Religion im modernen Zeitalter einnimmt.
Heaney untersucht zudem, wie die Eigenschaften von Quantensystemen abseits von Prozessoptimierung zu Denkmodellen einer besseren Zukunft werden können. Die Quantenphysik beschreibt Naturgesetze im atomaren und subatomaren Bereich und somit Phänomene, die nicht mit den menschlichen Sinnesorganen überprüft werden können. Eines ihrer Kernprinzipien ist die Superposition (Überlagerungsprinzip). Es beschreibt, dass ein Quantenpartikel in Superposition mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen kann. Wenn zwei Quanten in Superposition in einem System miteinander verbunden sind, greift ein weiteres Prinzip: die Quantenverschränkung. Sind Quanten miteinander verschränkt, ergibt sich durch die Messung des einen automatisch der Zustand des anderen. Heaney sieht in diesen Phänomenen die Möglichkeit, binäre Auffassungen und politische Polarisierung zu überwinden und damit pluralistisches und kollektives Denken zu stärken. Auf diese Weise könnte globalen Problemen wie der Klimakrise begegnet und Raum für neue Paradigmen geschaffen werden.
„Die Arbeit mit der Quantenphysik kann die endlosen Kategorisierungen und die Kontrolle von Menschen und Nicht-Menschen im Streben nach unendlichen Profiten untergraben, was zu einer immer schnelleren Entfremdung führt.“
– Libby Heaney
In ihrer visuellen Sprache kreiert Heaney vielschichtige Effekte, die nur durch ihre Arbeit mit Quantencomputern möglich werden: digitale Bilder werden hybrid und fragmentiert in einer verschwommenen, verfremdeten Ästhetik, die die Gesetze der Quantenwelt darzustellen versucht. Wenngleich Heaneys Konzeption komplex und tiefgründig ist, benötigen Besucher:innen der Ausstellung keine Vorkenntnis der Quantenphysik. Im Gegenteil möchte Heaney dazu anregen, eigene emotionale Antworten auf die beunruhigenden und zugleich aufregenden Verheißungen des Quantenzeitalters zu finden.
Weltweit entwickeln nur wenige Unternehmen Quantencomputer. Mit Unterstützung von LAS arbeitet Heaney seit drei Jahren mit der Quantenhardware von IBM und der Software von Qiskit. Eine ausstellungsbegleitende Broschüre dokumentiert die Zusammenarbeit Heaneys mit LAS und den Entstehungsprozess von Ent-.

Libby Heaney
Dr. Libby Heaney ist Künstlerin und Quantenphysikerin. Sie gilt als die erste Künstlerin, die Quantencomputing als funktionierendes künstlerisches Medium eingesetzt hat. Ihre Arbeit bewegt sich zwischen dem Persönlichen und dem Universellen und greift auf die formveränderlichen, nicht-binären Konzepte und nicht-linearen Zeitlichkeiten der Quantenphysik zurück, um Gegenmodelle zu anthropozentrischen Zukunftsvisionen zu entwerfen. Dabei kombiniert Heaney eine Vielzahl von Medien – von Installationen, Performances und Virtual Reality bis hin zu Videospielen, Aquarellen und Glaswerken.
Heaney arbeitet interdisziplinär und untersucht die Versprechen und Machtstrukturen neuer Technologien. Oft setzt sie Technologien gegen sich selbst ein, um ihre Grenzen und Risiken sichtbar zu machen.
Ihre Einzelausstellung Ent- (beauftragt von LAS Art Foundation und präsentiert in der Schering Stiftung Berlin, 2022) war der Auftakt für LAS’ Auseinandersetzung mit Quantentechnologien. Zu ihren weiteren Präsentationen gehören unter anderem Shadowscapes in der Orleans House Gallery, London (2025); Qlimate Tongues im ArtScience Museum, Singapur (2025); Quantum Soup im HEK, Basel (2024); Heartbreak & Magic im Somerset House, London (2024); Frieze Sculpture, London (2024); RMIT Gallery, Melbourne (2021); und Lowry, Manchester (2017).
Begleitprogramm zu Libby Heaneys neuer Auftragsarbeit Ent- mit Künstler:innen, Musiker:innen und führenden Persönlichkeiten aus der Welt der Quantenphysik
Anlässlich der Einzelausstellung Ent- von Libby Heaney präsentieren LAS und die Schering Stiftung gemeinsam eine Reihe von Gesprächen und Live-Events, die im letzten Monat der Ausstellungslaufzeit stattfinden. Das Live-Programm, in dem mit verschiedenen Formaten experimentiert wird, bringt Stimmen aus den Bereichen Kunst und Wissenschaft zusammen und setzt sich mit der Komplexität zukünftiger Quantentechnologien auseinander. Durch interdisziplinäre Verbindungen vertieft die Veranstaltungsreihe die Bestrebung des Kunstwerks, ein kollektives Verständnis für die Potenziale des Quantenzeitalters zu schaffen.
Presse
02
Eine Anleitung in Quantencomputing für Künstler:innen

FIGURES, £igur€$, go figure!?
Credits
Libby Heaney: Ent-, 2022
Immersive 360° Installation
Soundkomposition: Nabihah Iqbal
In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation
LAS Team
Schering Stiftung
Produktionscredits




